La Paz liegt in einem riesigen Kessel am Rande eines Hochplateaus. Im Sonnenuntergang nähern wir uns der Stadt. Langsam beginnen die Lichter zu leuchten. Nach einer langen Fahrt entlang dem Rand des Kessels, taucht der Bus endlich in das Lichtermeer der Stadt ab.
Als wir aus dem Busterminal stolperten, verabschiedeten sich gerade zwei Polizisten voneinander. Wir haben viel darüber gelesen, wie unangenehm die Stadt als Tourist sein kann. Deshalb ergriffen wir die Gelegenheit beim Schopf und fragten den einen Polizisten, welchen Weg zum Hotel wir am besten einschlagen würden. Der Polizist meinte kurzerhand, er begleite uns ein Stück. Mit den Zeilen aus den Reiseführern im Hinterkopf setzten wir uns mit ihm gemeinsam in Bewegung. Als er uns dann zu erklären begann, wovor wir uns in La Paz in Acht nehmen sollen, löste sich unsere Anspannung allmählich in Luft auf. Wir hörten immer wieder, dass Touristen von als Polizisten verkleideten Dieben aufgefordert worden seien ihren Ausweis und ihre Wertsachen zu zeigen. Im Anschluss an diesen Scam, zu Deutsch Bauernfängerei, durften sie dann bei richtigen Polizisten eine Diebstahl Anzeige machen. Unser netter Begleiter betonte ausdrücklich, dass die Polizei nie einen Touristen auffordern würde sich auszuweisen, ausser natürlich es besteht ein echter Grund, wie Verdacht auf Drogenbesitz. Im Falle eines Scams solle man einfach nein sagen und weiter gehen. Die Aufforderung mit dem falschen Polizisten per Taxi auf den Polizeiposten zu fahren, solle man auch dankend ablehnen. Manche mögen sich jetzt denken, so dumm sei kein normaler Mensch. Leider scheint es aber immer wieder Leute zu geben, die genau mit dieser Masche übers Ohr gehauen werden.
Flügel ausbreiten
Rund um La Paz türmen sich einige Berge in die Höhe. So erstaunt es nicht wenig, dass wir auch hier ein paar Gleitschirmpiloten antreffen, die jede mögliche freie Minute aus der Stadt herausfahren, um die Welt aus der Vogelperspektive zu sehen. Wir haben unsere Ankunft zeitlich gut geplant. Es ist Freitag und am Wochenende treffen sich die Piloten des lokalen Klubs zum gemeinsamen Fliegen. Sie chartern immer einen Minibus mit Fahrer,der sie zum Startplatz fährt und sie später am Landeplatz wieder auflädt.
Am Landeplatz wird dann meist nach einem Flug noch etwas mit dem Schirm im Wind gespielt bevor alle ihre Sachen packen und gegen Mittag wieder im kleinen Vorort von La Paz gemeinsam Mittag essen. Sandra, eine der zwei weiblichen Pilotinnen in La Paz, fragte mich einmal auf dem Weg zurück zum Bus, wie lange denn mein längster Flug gedauert habe. Ich erinnerte mich an Pfingsten 2014, als ich meinen ersten richtigen Streckenflug gemacht habe. Ich erzählte ihr, dass ich damals fast sechs Stunden in der Luft war und dachte mir nichts dabei. Mit offenem Mund blieb Sandra stehen und schaute mich ungläubig an. Die Erklärung für ihr Erstaunen folgte postwendend. Sie sagte mir, dass sie nun schon fünf Jahre fliege, aber hier in Bolivien sei es kaum möglich länger als eine Stunde zu fliegen. Ihr persönlicher Rekord liege bei 20 Minuten. Ich meinerseits war erstaunt über die kurze Dauer der Flüge hier. Ich dachte bisher, dass wir einfach nicht die richtige Zeit im Jahr erwischt hätten, schliesslich war Ende Regenzeit und das Klima noch immer sehr feucht und zudem wechselhaft.
Tag des Meeres
Am 23. März feierten die Bolivianer den Tag des Meeres. Ohne die Geschichte zu kennen eine spezielle Tradition für ein Binnenland. Nimmt man aber die Geschichtsbücher hervor, fällt schnell auf, dass auf alten Karten Bolivien sehr wohl Meeranstoss hatte. Ende des 19. Jahrhunderts verlor Bolivien aber dieses Territorium im Salpeterkrieg an Chile. Faktisch ist Bolivien seit dann das einzige Land in Südamerika, das keinen Meeranstoss hat. Selbst Paraguay, das auch ein Binnenstaat ist, hat den Rio Paraguay, auf dem Waren im „eigenen Land“ bis zum Meer transportiert werden können. Bolivien zahlt an Chile eine Menge Geld, um Waren über den Seeweg zu transportieren. Die Sache ist ziemlich kompliziert. Eigentlich bestehen Verträge, die Bolivien den Zugang zum Meer via Chile zusichern, diese werden aber nicht wirklich eingehalten. Am Tag des Meeres wird also in Bolivien daran erinnert, dass die Situation mit dem Meeranstoss für das Land so nicht akzeptabel ist und verbessert werden muss (so die sanfte Version, fragt man einen Militaristen, hört sich das eher nach Territorialkrieg an). Zur Feier des Tages defiliert das Militär durch La Paz und wird von dabei von der Luftwaffe mit einer Airshow begleitet. Darum herum findet in der ganzen Stadt ein kunterbuntes Fest mit Ansprachen verschiedenster Politiker statt.
Regionalwahlen in Bolivien
Einige Tage nach diesem Fest fuhren wir mit dem Bus nach Rurrenabaque. Wie es uns dort erging, lest ihr hier. Noch vor unserer Abreise wurde uns ans Herz gelegt spätestens am kommenden Donnerstag oder Freitag mit dem Bus nach La Paz zurück zu fahren. Am Sonntag standen nämlich die Regionalwahlen an und deswegen dürfen Langstreckenbusse ab Samstag nicht mehr verkehren. In Rurre ergatterten wir die letzten vier Plätze in einem Bus. Vier deshalb, weil ja Sophie und Aless, die zwei Belgierinnen, auch mit uns unterwegs waren. Der Grund für die Verkehrsrestriktion besteht darin, dass Bolivianer zum Wählen in den Wahlkreis fahren müssen, in dem sie ihre Papiere haben. Wahlkreis wechseln ist beinahe unmöglich und mit unglaublich viel Papierkram verbunden. Deshalb müssen viele Bolivianer durch das halbe Land in ihr Heimatdorf reisen, um zu wählen. Da in Bolivien Wahlpflicht besteht, sind kurz vor den Wahlen die meisten Verkehrsmittel ausgebucht. Und die Verkehrsrestriktion für Langstrecken am Samstag vor den Wahlen dient wohl dazu, dass auch die Busfahrer in ihr Heimatdorf fahren können. Ab Samstag Nacht dürfen offiziell nicht einmal mehr Taxis verkehren.
Die Fahrt war nicht sehr erholsam und morgens um fünf strandeten wir ziemlich fertig in Villa Fatima, La Paz. Zum Glück war unsere Unterkunft, das Bacoo Hostel, äusserst flexibel, wenn es um die Check-in Zeit betraf. So bezogen wir um sechs Uhr morgens unser Bett und legten uns erst einmal schlafen.
Am Wahlsonntag war dann das Stadtbild in La Paz sehr ungewohnt. Dort wo sonst das Leben pulsierte und ungeduldige Verkehrsteilnehmer ausgiebig Gebrauch von ihren Hupen machten, herrschte Stille und gähnende Leere. Die Stadt war wie ausgestorben. Einige Kinder und Jugendliche ergriffen erfreut die Gelegenheit der freien Strassen und kurvten ausgiebig mit ihren Fahrrädern und Skateboards darauf herum. Für uns war es sehr eindrücklich zu sehen, wie eine Millionenstadt so menschenleer sein kann.
Die Gondelbahnen von La Paz
Wie bereits erwähnt, befindet sich La Paz in einem riesigen Talkessel. Zwischen dem Vorort El Alto, der auf dem Hochplateau liegt, das die Stadt umgibt und dem tiefsten Punkt der Stadt liegen etwa 400 Höhenmeter. Die Strassen sind konstant überlastet und Platz für neue Strassen ist nicht vorhanden. Deswegen hat die Regierung beschlossen unter dem Namen „Mi Teleferico“ einige Seilbahnen zu bauen, die verschiedene Teile der Stadt miteinander verbindet. Pendler gewinnen dadurch sehr viel Zeit, da sie nicht mehr die ganze Strecke mit dem Bus, der im Stau steckt, zurücklegen müssen. Ende Mai 2014 wurde die erste Linie in Betrieb genommen. Bisher sind total drei Linien Rot, Gelb und Grün in Betrieb. In Planung sind weitere fünf Linien. Je nach Länge der Linie gibt es eine oder mehrere Zwischenstationen. Für Touristen bietet sich jetzt also neu die Möglichkeit die Stadt im Vorbeiflug zu erkunden und die Lebensräume der Bewohner aus einer ganz neuen Perspektive zu erleben.
Zusammen mit Sandra machen wir an einem späten Nachmittag die Teleferico Rundfahrt. Los gingen wir etwa um halb fünf und die erste Linie, die wir bestiegen, war die Rote. Sie verbindet den nördlichen Teil ab Cementerio mit El Alto. Als wir schon fast die Bergstation in El Ato erreichten, machte uns Sandra auf etwas glänzendes in einem Felsspalt einer Klippe aufmerksam. Sie erzählte, dass vor einiger Zeit ein betrunkener Autolenker mit seinem Auto über die Klippe gestürzt sei und in der Felsspalte stecken blieb. Die Rettungskräfte versuchten anschliessend vergeblich Auto und Lenker aus der Spalte zu bergen.
Da Sonntag war, fand in El Alto der grosse Markt statt. Laut Sandra findet man hier alles, was man in den Läden der Stadt vergeblich sucht und mehr. Tatsächlich preisen die Verkäufer von Automotor Einzelteilen bis hin zu nagelneuen Küchenmaschinen und Kleidern alles an, was man sich denken kann. Sandra sagte, dass es noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre mit Touristen über diesen Markt zu schlendern. Damals war ein Präsident mit nordamerikanischen Wurzeln an der Regierung und die indigene Bevölkerung fühlte sich von ihm nicht gerecht behandelt. Da ein Grossteil der Bevölkerung in El Alto indigenen Ursprungs ist, reagierten sie jeweils sehr aufgebracht, wenn sie ein weisses Gesicht in ihrem Dorf antrafen. Offenbar endeten die Begegnungen meist damit, dass die weisse Person vom Pöbel übel zugerichtet wurde. Zum Glück ist das heute nicht mehr so. Dennoch ist Vorsicht geboten. Einen Teil der Strecke bis zur Bergstation der gelben Linie legten wir schliesslich doch mit dem Trufi zurück, nicht weil die Distanz zu weit gewesen wäre…
Auf der Fahrt ins Herz von La Paz konnten wir den Wandel der Häuser wunderbar sehen. Oben in El Alto zeigten die meisten Häuserfassaden ihre nackten Backsteine. Je weiter ins Stadtzentrum wir kamen, desto mehr Häuser waren verputzt und schliesslich sogar angestrichen. Die Ordentlichkeit der Bewohner wurde auch besser, je näher wir dem Stadtkern kamen. Als wir von der Gelben auf die grüne Linie wechselten, dunkelte es bereits ein. Diese beiden Linien teilen sich die Talstation. Die grüne Linie verbindet den Stadtkern mit der gutbetuchten Zona Sur. Hier kamen zu den schön gestrichenen Hausfassaden noch Pools und gestutzte Rasenflächen hinzu. Langsam begannen die Lichter der Stadt zu leuchten. Zusammen mit dem Mond ergab sich eine wunderbare Abendstimmung, die wir von hoch über den Dächern La Paz‘ bestaunen durften. Für uns war das eine sehr gelungene und auch empfehlenswerte Stadtrundfahrt. Einzig der Weg zwischen den Bergstationen der Roten und gelben Linie ist alleine als Tourist nicht sehr empfehlenswert. Wenn man aber einfach die Gelbe und grüne Linie fährt und an der Bergstation der Gelben linksum kehrt macht, besteht eigentlich kein Sicherheitsrisiko.