Puerto Natales ist ein kleines Fischerdorf ganz im Süden von Chile. Hierhin sollten sich eigentlich keine Touristenmassen verirren. Aber sie sind hier, wie wir auch, weil Natales der Ausgangspunkt ist für den Besuch des Torres del Paine Nationalpark. Im Stadtkern wechseln sich darum auch die Schaufenster von Hostels, Restaurants und Outdoorshops ab.
Wir bleiben lange genug in der Stadt, um Essensvorräte für acht Tage zu kaufen und einen wärmeren Schlafsack zu mieten. Dann sind auch wir auf dem Weg in den Nationalpark. Mit mehreren grossen Reisebussen werden drei mal am Tag hunderte Touristen in den Park gebracht. Die Massen verteilen sich im Park zum Glück gut, doch zuerst werden wir in das Ranger Büro gedrängt, wo wir den Eintritt in den Park bezahlen und die wichtigsten Regeln eingebläut bekommen: 1. Kein Feuer machen 2. Abfall wieder mitnehmen 3. Nicht den Pfad verlassen und 4. Wirklich kein offenes Feuer.
Bevor das Gebiet 1959 zum Nationalpark wurde, war es eine grosse Schaffarm und wurde arg in Mitleidenschaft gezogen. Seitdem es unter Schutz steht haben dafür leider einige unvorsichtige Besucher grosse Teile davon niedergebrannt. Deshalb ist auch kein offenes Feuer erlaubt. Kochen darf man auch nur an den dafür vorgesehenen Orten und mit Gaskochern. Wer ein Feuer macht oder für einen Waldbrand verantwortlich ist, wird mit heftigen Gefängnissstrafen belegt. Wir haben nur unseren Alkoholkocher dabei und dazu noch den falschen Brennstoff, weil in Natales anscheinend niemand Brennspiritus verkauft. Das lassen wir aber besser niemanden wissen. Ausserdem ist das Kochen mit diesem Kocher genau so sicher wie mit einem Gaskocher. Es sieht einfach etwas eindrucksvoller aus.
So können wir schon bald unsere Rucksäcke schultern und uns auf den Weg zum ersten Camp machen. Zum Glück haben wir alles überflüssige im Hostel in Puerto Natales zurückgelassen, so sind die Rucksäcke nicht zu schwer. Wegen den starken patagonischen Winden und weil das Wetter hier in wenigen Minuten komplett umschlagen kann, blieben auch die Gleitschirme zurück. Wir werden also keine Abkürzungen machen können.
Die verschiedenen Reiserouten im Park sind nach Buchstaben benannt welchen sie ähneln. Es gibt das „W“, das „O“ und das „Q“. Unser Ziel ist das „O“ oder auch der „Paine Circuit“ und wir beginnen mit dem weniger bevölkerten hinteren Teil des Parks. Der Weg von der Ecolodge bis ins Camp Seron ist 13 Km weit und ein guter, sanfter Einstieg für unseren ersten Tag.
Für den nächsten Tag haben wir uns mehr vorgenommen: Wir wollen das Camp Dickson überspringen und 30 Km und einige 100 Höhenmeter an einem Tag zurücklegen. Wir treffen nur selten andere Wanderer. Als wir einen ersten kleinen Pass überqueren, um auf die Rückseite der Berge zu gelangen, kriegen wir erstmal einen Vorgeschmack auf die starken Winde, die hier wehen können. Der See unten im Tal wäre der ideale Kitespot, wenn es nur nicht so kalt wäre. Hier sehen wir auch die Torres von der anderen Seite. Der Gegenwind begleitet uns den ganzen Weg bis ins Camp Dickson. Wir sind froh, dass wir dort kein Zelt aufstellen müssen. Nicht einmal zum Kochen gibt es Windschutz.
Nach kurzer Rast nehmen wir den Rest des Weges zum Camp los Perros in Angriff. Dieser zieht sich in die Länge und unsere Beine werden immer schwerer. Der letzte Teil führt steil eine Gletschermoräne hinauf. Der starke, kalte Gegenwind ist zermürbend. Nur kurz geniessen wir den Ausblick auf den Gletschersee. Es dunkelt schon ein, als wir das Camp erreichen. Müde schlüpfen wir in unsere Schlafsäcke und sind uns nicht sicher ob wir am nächsten Morgen den John Gardner Pass in Angriff nehmen, oder einen Ruhetag einlegen werden.
Zum Glück geht es uns beiden am nächsten Morgen gut und so brechen wir nach dem Früstück etwas später als die meisten anderen auf zum Pass. Zuerst führt der Weg durch den Wald und ist sehr schlammig. Das ändert sich aber schnell. Das Gelände ist hier auf 700 Metern über Meer schon hochalpin, keine Bäume wachsen und wir steigen über Schotter, Steine und Schnee zügig auf.
Oben angekommen erwartet uns nicht der vom Reiseführer angedrohte Blizzard, sondern verhältnismässig wenig Wind und eine klare Sicht auf den imposanten Grey Gletscher. Als wir zwei Kondoren beim soaren zusehen, bereuen wir schon fast, dass wir unsere Gleitschirme in Natales zurückgelassen haben, aber dann denken wir daran wie unvorhersehbar und wechselhaft das Wetter hier ist. Wir nehmen das Wettergeschenk gerne an und machen uns an den langen, kniezermarternden Abstieg über riesige Stufen und steile, rutschige Trampelpfade.
Auf den Wegen im Park sind an vielen Orten Tafeln mit Infos zur aktuellen Strecke aufgestellt, die einem sagen, wie weit man vom nächsten Camp enfernt ist und auf denen ein Höhenprofil des Weges aufgezeichnet ist. Als wir zu einer Tafel kommen, welche uns sagt, dass wir noch 300 Meter absteigen müssen bis zum nächsten Camp sind unsere Knie schon am Ende. Um so erleichterter sind wir 15 Minuten später, als wir die ersten Zelte vom Paso Campground sehen. Da mochte wohl einer das Schild keine 300 Meter den Berg rauftragen (vielleicht werden chilenische Meter aber auch anders gemessen, z. B. mit einem Gummiband ;-))
Alles hier im Park wird entweder von Menschen oder Pferden in die verschiedenen Camps transportiert. Das führt dazu, dass alles was man kaufen kann mehr nach Gewicht als nach Inhalt gewertet wird und allgemein sehr teuer ist. Wir haben aber sowieso alles dabei das wir brauchen und sind froh darum. Die Preise für einige Zeltplätze hier sind hoch genug. Nur die Camps Paso, Italiano und Torres sind gratis und bieten dafür sehr wenig Komfort. Wir bevorzugen natürlich diese. In jedem Camp und jeder Rangerstation muss man sich mit Namen, Nationalität und Passport Nummer einschreiben. Seither kennen wir diese Nummer auch Auswendig.
Die relativ kurze Wanderung vom Paso Camp zum Grey Camp bietet uns atemberaubende Ausblicke auf den Grey Gletscher aus immer wechselnden Perspektiven. Der Pfad ist sehr ausgesetzt und führt an steilen Felsflanken entlang und durch tiefe Bachbette. Er endet in einer Bucht gespickt mit kleineren Eisbergen am Ende des Gletschers. Zusammen mit dem schönen Wetter ist es einer unserer top Abschnitte der ganzen Wanderung. Im Grey Camp geniessen wir nach 3 Tagen endlich wieder einmal eine warme Dusche. Von jetzt an befinden wir uns auf der „W“ Route und die Wanderer denen man begegnet haben sich vervielfacht. Es ist aber auch so noch immer sehr schön hier. Das Wetter wird langsam schlechter. Wolken ziehen auf und wir spüren einige Tropfen.
Das Paine Grande Camp überspringen wir. Es ist uns zu teuer und dem Wind schutzlos ausgesetzt. Stattdesen gehen wir bis zum Campamento Italiano. Es liegt geschützt im Wald und ist dazu noch gratis. Langsam trifft man auf den Strecken und am Abend in den Camps auf die gleichen Leute. Wir sind schon wie eine kleine Familie. Unser Alcoholstove hat bisher schon für viel Aufsehen gesorgt unter den Wanderern. Oft wurden wir beim kochen mistrauisch beäugt, aber hier wurde das erste Mal ein Ranger auf uns aufmerksam und inspiziert unseren Ofen von Nahem. Er ist nicht wirklich zufrieden mit unserer Erklärung, verbietet uns aber auch nicht damit zu kochen. Wir sollen einfach gut aufpassen. Das nächste Mal würden wir es so wie eine Gruppe junger Franzosen machen: Sie haben eine Gaspatrone gekauft, aber keinen Brenner gemietet und leihen sich jeden Morgen und Abend von anderen Wanderern einen aus. Auf der „W“-Tour wegen den vielen Leuten sicher eine praktikable Lösung. An unserem sechsten Tag hat das schlechte Wetter Überhand genommen und wir kämpfen auf dem Weg ins Valle del Frances mit starken Winden und Regen. Oben angekommen verziehen sich die Wolken aber für kurze Zeit und wir können einen Blick in die imposante Bergarena erhaschen. Beim Abstieg finden wir sogar einen geschützten Platz für das Mittagessen.
Die nächste Nacht verbringen wir im teuren Campamento Cuernos. Der Nationalpark besteht zum Teil aus Land, welches sich in Privatbesitz befindet. Die Camps in diesen Bereichen sind alle viel teurer, als die anderen. Die Türme, die dem Park seinen Namen geben, haben wir uns für unseren letzten Tag aufgespart. Erst müssen wir uns aber durch Wind und Regen ins Torres Camp hinaufkämpfen. Von da an ist es am nächsten Morgen noch eine Stunde und 300 Höhenmeter zum See am Fusse der Torres del Paine.
In der Nacht regnet es so stark, dass die grossen Tropfen von den Bäumen auf der Seite unter unserem Aussenzelt durch spritzen und das Innezelt dreckig und nass machen. Innen werden wir zwar nicht wirklich nass aber alles im Zelt hat Feuchtigkeit gezogen. Bei diesem Wetter sparen wir uns das rauflaufen im dunkeln, um den Sonnenaufgang zu sehen. Nach dem Morgenessen machen wir uns langsam auf den Weg hinauf. Auf halbem Weg brechen die Wolken auf und geben die Sicht auf die Torres für einige Zeit frei. Als wir oben ankommen, verschwinden sie gerade wieder im Nebel. Es schneit. Wir warten fast eine Stunde auf ein neues Wolkenloch, dann gehen wir zurück. Es ist zu kalt und die Torres werden wir heute sowieso nicht vor blauem Himmel sehen können.
Unten im Camp packen wir unser durchnässtes Zelt zusammen und machen uns an den Abstieg. Als wir nach 3 Stunden bei der Ecolodge ankommen, schliesst sich der Kreis unserer Route. Hier unten können wir unser Zelt in der Sonne trocknen, während die Berge noch immer in Wolken gehüllt sind. Verrücktes Wetter. Bald schon sind wir zurück in Natales. Wir freuen uns auf ein richtiges Bett und einen Tag ohne laufen mit schwerem Rucksack.
Ein Gedanke zu „Nationalpark Torres del Paine“